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ERLEBNISPÄDAGOGIK IN DEN BERGEN

Die Berge – Natürliche Kulisse, grenzenloses Potenzial

Von Amelie Neumann  Ausgabe 06 10/2018

Besondere Herausforderungen und Situationen zu schaffen, die ganzheitlich und zielgerichtet das Wachstum von persönlichen und sozialen Kompetenzen ermöglichen, ist Kern der Erlebnispädagogik (Sibthorp & Morgan, 2011). Die Berge sind so beliebt und prädestiniert für erlebnispädagogische Vorhaben, weil Herausforderungen und Wagnisse hier schon naturgegeben sind und nicht von Grund auf konstruiert werden müssen. Nicht umsonst sind Berge seit jeher von Menschen vergleichsweise wenig besiedelt. Sich aus gewohntem Umfeld in die Berge „zu wagen“ kann für manche schon zum Erlebnis werden. Gebirge halten Widrigkeiten wie z.B. plötzliche Wetterumschwünge, Lawinen, Felsabbrüche etc. für Menschen bereit, die lebensbedrohlich sein können und dennoch fühlen sich viele von der Abgelegenheit, der Schönheit, der Stille, der Mächtigkeit und Vielfalt dieses Naturraums angezogen. Erlebnispädagogik bietet die Chance diesen inspirierenden Naturraum mit intensiven Erlebnissen zu füllen. Klassische Aktivitäten der Erlebnispädagogik im alpinen Raum sind z.B. Bergwandern, Bachbegehungen, Höhlenbefahrungen, Klettern, Abseilen, Biwak, im Winter Schneehöhlenbiwak und Schneeschuhwanderungen (Kraus & Schwiersch, 2005).

Bei all diesen Vorhaben findet man sich in Situationen wieder, in denen man stark von seinen Begleitern abhängig und gleichzeitig der Natur ausgeliefert ist, was gruppendynamische Prozesse katalysieren kann. Aber nicht nur von den Gruppenmitgliedern ist man stärker abhängig, sondern auch die eigenen Entscheidungen wiegen in den Bergen schwerer als in der Zivilisation, denn es gibt häufig kein zurück.So kann man sich z.B. nicht ohne erhöhtes Risiko von seiner Biwakgruppe trennen und auf halber Wegstrecke umdrehen, da man auf die Ressourcen der Gruppe angewiesen ist. Kommt es in einer schwer zugänglichen Region zu einem Unfall, kann eine Bergung länger dauern, oder ist im schlimmsten Fall gar nicht möglich. Verantwortungsbewusstsein kann in solchen Entscheidungssituationen entstehen, sowie ein sehr intensiver Dialog mit sich selbst geschehen. „Traue ich mir das wirklich zu? Kann ich meiner Gruppe vertrauen?“ Die Reflexion des eigenen Könnens wird in solchen „Ganz-oder-gar-nicht-Situationen“ oft von selbst in Gang gesetzt und muss durch einen Betreuer nicht zwangsläufig angestoßen werden. Eben diese Reflexion „[…] ist ein Grundbedürfnis der menschlichen Psyche, die sich die Zeit, den Raum und das Material sucht, um es zu befriedigen.“ (Kraus & Schwiersch, 2005, S. 397)

Dieses Material bietet eine erlebnispädagogisch begleitete Aktivität in den Bergen in Hülle und Fülle. Die Emotionen, die jeder einzelne bei der Herausforderung fühlt, z.B. Angst vor dem ersten Abseilen oder Stolz am Gipfelkreuz, können eine Basis zur Reflexion bieten, aber auch die inspirierende Kulisse der Berge an sich kann metaphorisch genutzt werden. Zum Beispiel die Höhen und Tiefen des Lebens als biografische Analogie zu Gipfeln und Tälern, Stromschnellen eines Baches als sinnbildliche Turbulenzen des Lebens sehen etc. (Harder & Wegmann, 2015).

Jedoch kann Erlebnispädagogik in den Bergen nicht nur mental und emotional viel bewegen. Natürlich wird auch der Körper in der Höhe, bei extremem Wetter oder Nahrungsknappheit stark gefordert. Manche Aktivitäten können zur konditionellen Grenzerfahrung werden und bergen vielleicht, getragen durch die Gruppe, Potenzial körperlich über sich hinaus zu wachsen und ganz besondere Erfolgserlebnisse zu erleben.

Abgesehen vom emotionalen Lernen und sozialen Lernprozessen in der Gruppe kann ein Aufenthalt in der Abgeschiedenheit der Berge auch Anlass sein Interesse für geologische oder biologische Themen zu wecken. Man hat einerseits das Gefühl hoch oben und weit weg von allem zu sein, aber gleichzeitig ist man der Entstehungsgeschichte der Erde viel näher als uns vielleicht bewusst ist. Jenseits der Vegetationsgrenze werden Gesteinsschichten der verschiedenen Erdepochen sichtbar, manchmal hat man sogar das Glück echte Fossilien zu finden. Aufgrund der schwachen Besiedlung hat man die Möglichkeit sich in fast unberührter Natur zu bewegen, was einerseits viele positive Effekte auf die Gesundheit haben und andererseits auch das ökologische Bewusstsein z.B. für Artenschutz wecken kann (Neumann, 2017).

Die Berge bieten uns also eine natürliche Quelle enormen erlebnispädagogischen Potenzials, was aber natürlich nur mit gewissenhafter pädagogischer Vorausplanung und Zielsetzung ausgeschöpft werden kann. Neben den vielfältigen Möglichkeiten, die uns die Berge bieten, sind damit auch mehr Gefahrenpotentiale verbunden. Deshalb kommt für diesen Naturraum ein großer Aufwand zur Risikominimierung in der Planung und auch während der Durchführung für den erlebnispädagogischen Betreuer hinzu (Streicher, Harder & Netzer, 2015). Die Berge dürfen als Abenteuer erlebt werden, aber sollen nicht als permanent bedrohlich erinnert werden, wenn nachhaltige Lernprozesse passieren sollen. Ein mangelndes Sicherheitsgefühl kann bei erlebnispädagogischen Maßnahmen im Gebirge durch kontinuierliche Angstgefühle zu einem Verlust von Reflexionsebenen führen, weshalb es gerade diesen Situationen vorzubeugen gilt. Gelingt es dies zu berücksichtigen und somit positive Voraussetzungen für ein gelungenes Erlebnis zu schaffen, ist es durch die Erlebnispädagogik in den Bergen möglich einen Ausbau persönlicher und sozialer Kompetenzen zu erzielen, welcher in seiner Intensität und Nachhaltigkeit mithilfe einer „künstlichen“ Umgebung vielleicht schwerer zu erreichen ist.

 

QUELLEN:

-     Harder, H. & Wegmann, C. (2015). Bergwandern. In B. Streicher, H. Harder & H. Netzer (Hrsg.), Erlebnispädagogik in den Bergen – Grundlagen, Aktivitäten, Ausrüstung und Sicherheit (S.46-    60) München: Ernst Reinhardt Verlag.

-     Kraus, L. & Schwiersch, M. (2005). Die Sprache der Berge – Handbuch der alpinen Erlebnispädagogik (2. Auflage). Augsburg: ZIEL- Verlag.

-     Neumann, A. (2017). Stand Up for Paddling. Erlebnispädagogik Online, 4, 9-11.

-     Sibtorb, J. & Morgan, C. (2011). Adventure-based programming: Exemplary youth developement practice. New Direction of Youth Development, 130, 105-119.

-     Streicher, B., Harder, H. & Netzer, H. (2015). Besonderheiten der Erlebnispädagogik in den Bergen. In B. Streicher, H. Harder & H. Netzer (Hrsg.), Erlebnispädagogik in den Bergen – Grundlagen,      Aktivitäten, Ausrüstung und Sicherheit (S. 10-23). München: Ernst Reinhardt Verlag.